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Karlstorbahnhof e.V.

Gemeinnütziges Kulturzentrum in Heidelberg

Mit langem Atem

17. Dezember 2020

Bild: Mit langem Atem

Als Heidelberger Theatermacherin, die 1979 im Romanischen Keller in französischer Sprache auf den schwarzen Brettern debütierte, habe ich die freie Szene in der Neckarstadt immer besonders neugierig beobachtet. Die Eröffnung des Karlstorbahnhofs als Kulturhaus, Veranstaltungsort, soziokultureller Akteur, Vernetzungsplattform und noch weit mehr war für uns alle etwas lange Ersehntes. Exemplarisch für vieles, das im Karlstorbahnhof begann, soll hier ein spartenübergreifendes Künstlerinnennetzwerk stehen. Die Idee zu Aufbruch 2001 e. V. entstand im Jahr 1999 im Heidelberger Theaterverein mit dem Ziel, dessen Mitglieder untereinander zu vernetzen. Bei Aufbruch 2001 trafen sich die Akteurinnen aus der klassischen Musikszene und Grenzbereichen, aus der Bildenden und der schreibenden Kunst, aus Schauspiel, Tanz, Pantomime, Puppen- und Papiertheater, aber auch Musik- und Theaterpädagog*innen mit und ohne Schulkontext. Profis und ambitionierte Amateur*innen aus der Region, aber oft mit internationalem Hintergrund, fingen an, sich in öffentlichen Salons gegenseitig ihre Arbeiten zu zeigen, von Projekten zu berichten und vor allem über Kunst und deren gesellschaftliche Rolle nachzudenken, zu diskutieren und im konstruktiven Sinne zu streiten. So entwickelten sich spartenübergreifende Kooperationen, Workshops, ein Festival und dauerhafte Verbindungen und Freundschaften zwischen lokalen Kunst und Kulturschaffenden.

Dieses gemeinnützige Netzwerk existiert bis zum heutigen Tag. Seine Mitglieder bereichern seit nunmehr fast 20 Jahren die freie Kunstszene in Heidelberg und Umgebung mit performativer Kunst und Angeboten
Ästhetischer Bildung und sind eng vernetzt mit anderen lokalen Akteurinnen wie z. B. dem INDUSTRIETEMPEL Mannheim. Ohne den Karlstorbahnhof als kulturelle Matrix hätte es dieses Netzwerk nie gegeben. Das ist Grund für große Dankbarkeit und ebenso für einen Blick in die Zukunft. Die Pandemie des Jahres 2020 verweist auf die vitale Bedeutung der Kunst in demokratischen Systemen. Eine kontinuierliche und großzügige Finanzierung von Kulturträgern wie dem Karlstorbahnhof ist nichts weniger als ein Garant gesellschaftlicher Freiheit in Zeiten wachsender Bedrohung durch autoritäres, demokratiefeindliches Denken. Ich wünsche dem „neuen“ Karlstorbahnhof Strahlkraft in der soziokulturellen Szene der Stadt und der Region, ein dynamisches Publikum und solidarischen Rückhalt bei Politik und Zivilgesellschaft. Doch ganz besonders wünsche ich ihm und uns, den Akteurinnen der freien Kulturszene in und um Heidelberg, dass der Karlstorbahnhof ein kraftvoller Nukleus bleibt für kreative Entwicklungen und utopisches Denken, für Netze zwischen Kunstschaffenden und interkulturelle Kooperationen, d. h. weit mehr als ein Veranstaltungshaus, nämlich ein Ermöglichungsraum lebendiger Kultur.

Antje Reinhard ist Theatermacherin und -pädagogin, Romanistin, Theologin
und Gründungsmitglied des Freien Theatervereins Heidelberg. Sie lebt in Ludwigshafen, wo sie Ästhetische Bildung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft lehrt.

Für unser Jubiläum haben wir Erinnerungen, Einblicke und Ausblicke gesammelt von Menschen, die dem Karlstorbahnhof verbunden sind. Alle Texte gibt es im Jubiläumsmagazin. Jetzt bestellen!