Mutter Stieber fand’s gut
5und20 Perspektiven
9. Dezember 2020
Unser erster Auftritt im Karlstorbahnhof war am Eröffnungswochenende mit MC Rene und Cora E. Damals war das einfach der neue Laden in Heidelberg und seine Bedeutung als wichtigster Laden für Hip Hop in der Region war noch nicht abzusehen. Deshalb können wir uns an diesen historischen Moment auch nicht mehr so wirklich erinnern. Es gab so viele unvergessliche Abende im Karlstorbahnhof, an denen wir auf der Bühne oder im Publikum waren. Darunter waren aus heutiger Sicht unglaubliche Gastspiele von Legenden wie Common Sense, Jurassic Five, The Roots, Dilated Peoples, Rakim, Jizza oder Slum Village, die Liste ließe sich unendlich fortführen. Dass die Rapgeschichte für ein paar Jahre in Heidelberg zu Gast wurde, war perfektes Timing. Der Karlstorbahnhof war ein neuer Laden, wo relativ junge und rap-affine Leute Mitspracherecht hatten. Der US-Rap war auf Expansionskurs und Deutschland war der wichtigste Markt. Heidelberg war das Zentrum der amerikanischen Truppen in Deutschland und es gab viele GIs, die auf die Shows ihrer Heroes warteten.
Die Stieber Twins sind Heidelberger Raplegenden der ersten Stunde, heute betreibt Martin den Laden The Flame in der Plöck und Christian hat sich als Architekt bei ASP auf die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude spezialisiert.
Aber auch die deutsche Szene war stark vertreten, egal ob Blumentopf über Samy Deluxe, Massive Töne, Beginner, Max Herre, Eins Zwo oder Deichkind. Der Karlstorbahnhof war das Wohnzimmer der Szene und wir waren fast immer auf der Bühne und im Backstage dabei. Dafür haben wir dem Laden immer den Rücken frei gehalten. Wenn es mal wieder Stress mit der Stadt gab oder irgendjemand die Subventionen streichen wollte, sind wir auf die Barrikaden gegangen. Hunderte Konzerte, Jams und Parties vermischen sich in unserer Erinnerung zu einem einzigen nostalgischen Gefühl. Da geht selbst unser 80 Jahre Stieber Twins Event irgendwie unter in einem Wust von Bildern im Kopf.
Nur an einen Abend können wir uns noch ganz genau erinnern: Es war 1997, als die Mutter Stieber zum ersten und einzigen Mal zu einem Konzert gekommen ist. Wir waren nervöser als auf dem Splash vor 20.000 Leuten. Die Show lief super, der Laden ist explodiert. Hinterher haben wir sie gefragt, wie es war. Sie sah ein bisschen geschockt aus und hat nur ein Wort gesagt: Gut.
Die 25 Jahre Karlstorbahnhof sind für uns wahnsinnig schnell vorbei gegangen, weil in dieser Zeit unglaublich viel passiert ist. Jetzt wird es langsam Zeit, Abschied zu nehmen. Der Karlstorbahnhof zieht um in die Südstadt und wir freuen uns auf das neue Kapitel. Wenn ihr uns für das Eröffnungswochenende braucht, meldet euch. Ansonsten kommen wir spätestens 2022 wegen 100 Jahre Stieber Twins auf euch zu.
Für unser Jubiläum haben wir Erinnerungen, Einblicke und Ausblicke gesammelt von Menschen, die dem Karlstorbahnhof verbunden sind. Alle Texte gibt es im Jubiläumsmagazin. Jetzt bestellen!