Verschmolzen zu einem ekstatischen Freundschaftshaufen
5UND20 Perspektiven: Rocko Schamoni
7. Dezember 2020
Ich weiß gar nicht mehr in welchem Jahr ich das erste Mal in den Karlstorbahnhof kam. War es 1995? Vielleicht. Ich war schon vorher diverse Male in Heidelberg aufgetreten, meistens im Schwimmbad zusammen mit den Goldenen Zitronen, hatte dort legendäre Abende erlebt. Und nun, auf dieser ersten Studio Braun Tournee zusammen mit Jacques Palminger und Heinz Strunk hatte man uns – zu meiner Enttäuschung – in einen mir unbekannten Laden gebucht. Karlstorbahnhof – was soll das für’n Quatsch sein? Klingt irgendwie trist. Wird bestimmt Scheiße. Heidelberg ist auch nicht mehr, was es mal war.
Rocko Schamoni ist ein Hamburger Entertainer und Autor. Im Karlstorbahnhof erlebte man ihn bisher solo, mit Studio Braun oder auch als Teil der Technopioniere Fraktus.
Da wir mit Studio Braun in jenen Jahren täglich stark mit Alkohol arbeiteten, kamen wir in einem bereits fortgeschritten derangiertem Zustand an diesem Tag im Venue an, es war ein Sommernachmittag, vielleicht 15 Uhr. Vor dem Hintereingang des Ladens hatte sich eine Gruppe von jungen Leuten zusammengerottet, irgendwelche Rapvögel, die sich dort die Langeweile vertrieben. Erst als uns der Veranstalter Martin darauf hinwies realisierten wir, dass diese Menschen dort wegen uns erschienen waren, Heidelberger Slacker, die unsere Kunst mochten und uns ein Empfangskomitee der cooleren Art boten, anstatt aufzuspringen und lautzugeben blieb man lieber auf dem Boden sitzen und tat so, als wenn man nur zufällig hier wäre. Jacques Palminger nutzte die Möglichkeit, erklomm die Stahlwendeltreppe am Hinterhaus und hielt die erste Stegreifrede von Studio Braun, eine Tradition, die von diesem Tag an ewig in unseren Kreisen fortgesetzt werden sollte. Die Rede war so irre und lustig und gut, dass alle angesprochenen aufstanden und am Ende lange applaudierten.
Von da an waren alle Mauern zwischen uns gefallen und Studio Braun und die Heidelberger verschmolzen zu einem ekstatischen Freundschaftshaufen für einen kurzen glühenden Moment. Irgendwann im weiteren Verlauf des Abends realisierten wir, mit was für Legenden wir es hier – unter anderem – zu tun hatten, waren doch auch die Stiebers und Face Error in dem Pulk mit dem wir die Nacht zum Tag machten. Im „Wikinger“ wurde nach einem Spitzenauftritt weiter an der Flasche gearbeitet (die Detailgespräche erspare ich den werten Leserinnen und Lesern an dieser Stelle) und diese Nacht brannte sich mir und uns unvergesslich als eine der schönsten Kennenlernmomente unseres Tourlebens ein. Wäre doch nur jeder Tag auf Tour so wie dieser Tag in Heidelberg.
Für unser Jubiläum haben wir Erinnerungen, Einblicke und Ausblicke gesammelt von Menschen, die dem Karlstorbahnhof verbunden sind. Alle Texte gibt es im Jubiläumsmagazin. Jetzt bestellen!