Album des Monats
Muff Potter - Bei aller Liebe
3. Februar 2023
In Würde altern ist für uns alle keine leichte Aufgabe. Für Punkbands ist es dagegen eine existenzielle Herausforderung, die nur ganz wenige erfolgreich bewältigen. Eine Strategie ist das krampfhafte Festhalten am jugendlichen Eifer der Anfangszeit, eine andere die Transformation in ein erfolgreiches Pop-Unternehmen.
Bei der 1992 im Münsterland gegründete Band Muff Potter kommt erschwerend hinzu, dass gleichzeitig der Kraftakt eines Comebacks nach vielen Jahren Pause bewerkstelligt werden muss. Seit 2007 ist kein Album mehr erschienen, Sänger Thorsten „Nagel” Nagelschmidt hat sich in der Zwischenzeit mit Soloprojekten und Romanveröffentlichungen einen Namen gemacht. Und gerade aus diesen Aktivitäten speist sich nun auch die kreative Energie für das neue Album. Muff Potter war schon immer für eher tiefgründige und poetische Texte bekannt, auf „Bei aller Liebe” werden aufmerksame Zuhörer*innen eine literarische Qualität feststellen, die mindestens auf Augenhöhe mit den Höhepunkten der deutschen Indie-Musik unterwegs ist.
Musikalisch hat die inzwischen in Berlin ansässige Band eine große Palette an Gangarten im Programm. Schon beim Opener „Killer” wird mit mehrstimmigem Gesang und hymnischen Refrains Stadionatmosphäre angedeutet. Raumgreifend vorwärts drehende Riffs werden in Song-Kolossen wie „Ein gestohlener Tag” oder „Schöne Tage” episch ausgedehnt, lapidare Punksalven gibt es bei „Privat” in kompakten 90 Sekunden.
Nicht nur die zeitliche Ausdehnung der Songs zeigt einen deutlichen Hang zu extremen Kontrasten: Muff Potter klingt supermelodiös und spartanisch monoton, maximal aufgedreht und kammermusikalisch zart, gefangen im Zweifel und vollgepumpt mit Selbstvertrauen. Das alles wird zusammengehalten durch einen kohärenten inhaltlichen Resonanzraum zwischen westdeutscher Provinz und Berlin, zwischen Erinnerungen und dem Heute, zwischen Selbstreflektion und Weltgewandheit.
30 Jahre nach der Gründung der Band ist Muff Potter dort angekommen, wo stilistischer Wandel aus der Vogelperspektive betrachtet wird. Mehr als Gitarre, Bass und Schlagzeug, drei bis vier Akkorde und einen kantigen Text braucht es dafür nicht. Klanglich ist das alles irgendwie gemäßigt und abgehangen, inhaltlich aber immer noch so radikal einfach und eindeutig aufrichtig, wie es nur Punk kann und will.
Um für gute Musik in unserer Zentrale zu sorgen und gleichzeitig Künstler*innen zu unterstützen, kaufen wir jeden Monat ein neues Album digital und fügen es unserer Karlstorbahnhof-Playlist hinzu. So wächst unser Song-Repertoire von Monat zu Monat um bewährte Klassiker sowie vielversprechende Neuerscheinungen an.
Text: John Geiger
Veranstaltungen zum Thema
Muff Potter
Bei Aller Liebe - Tour 2023
Do 27.04.23 / 20:00 / Saal